Mein ganz persönlicher Bericht von der DHS Fachkonferenz, 26.-28.10.2022

Ich war beeindruckt von der reibungslosen Organisation – nun ja, es war die 61. Konferenz der DHS. Perfekte Betreuung und Verpflegung. Gefühlt war das gesamte Team der DHS rund um die Uhr für die Teilnehmenden da.

Die Tage waren vollgepackt mit Informationen über Programme, Institutionen und kommunalem Miteinander. Für mich alles neu und erstaunlich. Erstaunlich vor allem, welch langen Wege gegangen werden müssen, um zu Ergebnissen zu kommen.

Es ist Samstag, 6 Uhr. Ich kann nicht mehr schlafen, weil mir so vieles einfällt, was ich aufschreiben muss, damit ich es nicht vergesse. Die Unterlagen der Referenten können bei diesen direkt angefordert werden. In Zeiten des Datenschutzes kommt man da nicht mehr so einfach ran ….

Wir befinden uns mitten in einem Paradigmenwechsel. Am ersten Konferenztag hat das Bundeskabinett Eckpunkte zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken beschlossen.

Die wichtigsten geplanten gesetzlichen Regelungen zur Cannabis-Legalisierung

  • Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) werden künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft.
  • Die Produktion, die Lieferung und der Vertrieb werden innerhalb eines lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmens zugelassen.
  • Der Erwerb und der Besitz bis zu einer Höchstmenge von 20 bis 30 Gramm Genusscannabis zum Eigenkonsum im privaten und öffentlichen Raum werden straffrei ermöglicht.
  • Privater Eigenanbau wird in begrenztem Umfang erlaubt.
  • Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren sollen zu dann nicht mehr strafbaren Handlungen beendet werden.
  • Der Vertrieb darf mit Alterskontrolle in lizenzierten Fachgeschäften und ggf. Apotheken erfolgen. 
  • Werbung für Cannabisprodukte wird untersagt.
  • Es werden Vorgaben festgelegt, um die Qualität und Reinheit sicherzustellen.
  • Als Mindestaltersgrenze für Verkauf und Erwerb wird die Vollendung des 18. Lebensjahres festgelegt (ggf. mit einer Obergrenze für den THC-Gehalt bis zum 21. Lebensjahr).
  • Es ist die Einführung einer besonderen Verbrauchssteuer („Cannabissteuer“) vorgesehen.
  • Die cannabisbezogene Aufklärungs- und Präventionsarbeit

Die 12 Seiten sind im Detail hier nachzulesen, unter Download unten auf der Seite: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/kontrollierte-abgabe-von-cannabis-eckpunktepapier-der-bundesregierung-liegt-vor.html

Es wurde lebhaft diskutiert, was das für die Suchthilfe bedeutet.

Vortrag von Burkhard Blienert, Bundesministerium für Gesundheit

Die 3 Bausteine für den Paradigmenwechsel in der Drogen- und Suchtpolitik sind

  • Der Umgang mit Cannabis
  • Der Umgang mit Nikotin- und Alkoholkonsum
  • Versorgung, Beratung, Prävention erhalten einen neuen Stellenwert

Die Rahmenbedingungen müssen neugestaltet werden.

Übrigens: In NRW hat das erste alkoholfreie Lokal eröffnet:

NRW: Alkoholfreies Restaurant im Sauerland eröffnet (ruhrnachrichten.de)

Indem Konsum toleriert wird, wird in Kauf genommen, dass es Missbrauch gibt.

Jugendschutz beginnt nicht bei legalen oder illegalen Drogen

Warum erlauben wir das begleitete Alkoholtrinken von Jugendlichen ab 14 Jahren?

Was wir bei Cannabis nicht wollen, darf beim Alkohol nicht erlaubt sein.

Wir müssen eine neue Stringenz entwickeln.

Drugchecking erhält eine wichtige Bedeutung – Erklärung: Drugchecking | Drogeninformation-Berlin | Drogenpolitik (drogeninfo-berlin.de)

Gedanken zum Vortrag Suchtmittelwerbung 2022, Prof. Dr. Hanewinel, Kiel

Es gibt eine Seite Rauchfreiefilme.de – na dann suche mal alkoholfreie Filme, die gibt es nicht und Filme in denen Cannabis ganz selbstverständlich konsumiert wird, gibt es immer häufiger. Gerade Filme, in denen Menschen Rauchen, die gesettelt sind und denen man es eigentlich nicht zutraut. Kiffen war doch immer was für Jugendliche, sinnbildlich als „Einstiegsdroge“ zu sehen (so die Laienmeinung der heute „Alten“).

Es ist wichtig, dass die ganze Gesellschaft Werbung im öffentlichen Raum widerspricht – also auch Fans von Sportvereinen. Nur durch öffentlichen Druck kann sich etwas ändern.

Prävention – IFT-Nord gemeinnützige GmbH

Homepage – Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW (gluecksspielsucht-nrw.de)

Vortrag zu den Lenkungssteuern von Dr. Tobias Effertz, Uni Hamburg – der Running Gag des Tages: Einnahmen in Form von Steuern auf Rauschmittel sollte zu 100% auch in die Prävention/Beratung/ Behandlung fließen.

Prof. Dr. Auwärter, Uni Freiburg, Cannabis und Produktsicherheit – vom Drugchecking bis zur Qualitätskontrolle

Cannabis wird teuer durch die Steuer, wird aber auch qualitativ besser überwacht. Es ist damit zu rechnen, dass Cannabis vom Schwarzmarkt von der Qualität her schlechter ist. Es muss Produktsicherheit gewährleistet werden. Es werden oft Beimengungen festgestellt und versch. Verunreinigungen wie Pestizide, Schimmel, Schwermetalle und synth. Zusätze. (Drugchecking)

Es gibt 170 verschiedene Cannabioide. JE mehr THC enthalten ist, desto geringer ist der CBD-Gehalt.

Medizinisches Cannabis enthält mehr CBD als THC.  Für die Medizin muss es definierte Sorten und kontrollierten Anbau geben, damit die Wirkung eingeschätzt werden kann. Rauchen ist bedenklich, es sind Vaporizer oder Spray (über den Mund) zu bevorzugen. Das Verhältnis von CBD/THC ist relevant.

Es gibt natürliche Cannabioide (Ananmid, Δ9THV, CBD)

Es gibt über 200 synth. Cannabioide Δ8THC = halbsynth.

Mobiles Drugchecking z.B. auf Events, um Konsumenten zu erreichen ist Zukunftsmusik.

Auch durch die Lenkungssteuern wird „Harm Reduction“ (Schadensbegrenzung) betrieben.

Hohe Steuern = teuer = nicht bezahlbar.

Forensische Toxikologie | Universitätsklinikum Freiburg (uniklinik-freiburg.de)

Volker Auwärter, Zu Gast im Studio – Sendungen – Planet Wissen (planet-wissen.de)

Ziel 2040: nur noch 5% (Zigaretten)Raucher in der Gesamtbevölkerung – jetzt sind es noch/wieder 23%. Zahlen: https://www.rauch-frei.info/wissen/news/weltstatistiktag-2021-10-fakten-zum-thema-rauchen/

Zur Drogenpolitik in Portugal – Maximilian Funke

Drogenkonsum ist keine Straftat sondern Ordnungswidrigkeit, Dekriminalisierung

Bausteine

  • Prävention – universelle Aufklärung mit gezielten Maßnahmen
  • Etablierte Kommissionen in 18 Provinzen aus Juristen, Medizinern, Sozialarbeitern
  • Risiko- und Schadensminderung – Austausch von Drogenbesteck, Substitutionstherapie, Gespräche über Konsum, Aufklärung zu Therapiemöglichkeiten
  • Therapie

Das war in Portugal erfolgreich, weil traditionell wenig Bestrafung erfolgt, weil es Therapie statt Strafe gibt, durch die Krise der öffentlichen Gesundheit durch HIV, durch die schwache Moralisierung des Konsums – es gab Spielraum

Forum 103: Digitale Suchtberatung und -behandlung. Das neue Normal?

Vortrag von Marc-Dennan Tensil zu digisucht

Zur Zeit gibt es ein Projekt in der Modelphase: DigiSucht wurde vorgestellt vom Entwickler (Delphi). Digisucht ging (etwa zeitgleich mit der OAMN-App) Mitte Oktober ans Netz. Deshalb gab es nur sehr wenige Erfahrungen. Eine Teilnehmerin berichtete über 9 Kontakte am ersten Tag, die den Beratenden sehr überforderten – er war an dem Tag alleine, wegen Urlaub, Krankheit der Kollegen). Murphy läßt grüßen. Ich habe festgestellt, dass es – egal um welche neue Plattform es geht, egal um welches Projekt, das neu gelauncht wird, es immer die gleichen Probleme und Engpässe gibt).

Digisucht ist eine länderübergreifende, trägerübergreifende Plattform, auf der sich Betroffene registieren können und direkt mit einer Beratungsgestelle in der Nähe verbunden werden können. Die Modellphase geht bis Ende 2022, ab dem ersten Quartal wird es ausgerollt bis Ende September 2023 soll der nachhaltige Betrieb sichergestellt sein. Die Integration der Suchtselbsthilfe ist geplant. Weitere Infos bei FAQs – Digitale Suchtberatung (delphi.de)

Blended Counseling – was ist das? = Blended Counseling bezeichnet die systematische und passgenaue Kombination von digitalen und analogen Beratungssettings. Konkret bedeutet dies, dass ein Beratungsprozess in mehr als einem Setting – medial unterstützt – verwirklicht wird.

Bei der anschließenden Diskussions- und Fragerunde “Ist digitale Beratung das neue Normal?“ habe ich mich gemeldet und habe von OAMN berichtet, habe von den über 3.000 Mitgliedern erzählt, die durch die digitalen Programme „abstinent“ leben, durch den wertschätzenden Umgang miteinander und wie das ständige Befeuern mit Texten, Videos, Mails und den Kontakt untereinander das Mindsetting geändert wird.  Das Gegenargument, warum das funktioniert war, dass es sich doch dabei eben nicht um die Menschen handelt, die im Suchthilfesystem landen, die „einen Krankheitsstauts haben“ und dass das nicht vergleichbar ist. Oh Mann, da kann ich dann nicht mithalten, weil ich eben nicht die Journalistin bin, die alles parat hat, was man drauf antworten kann. Mit fehlen dann die ausformulierten Sätze und Argumente und ich habe mehr als einmal gedacht, dass Nathalie unbedingt auch dabei hätte sein sollen, um von ihrem Projekt zu berichten. Es gibt durchaus Vorbehalte gegen OAMN, die definitiv nicht haltbar sind! Vielleicht, weil es Konkurrenz ist? Ein komplexes Thema, wo doch das Suchthilfesystem immer öfter am personellen Limit arbeitet. Vielleicht auch, weil wir so viele sind, die im großen Graubereich von schädlichem Gebrauch bis zur Krankheitswert unterwegs sind bzw. waren.

Im anschließenden Vortrag von Dr. David Steffens über die AmbulanteReabilitationSucht (ARS) ging es um seine Studie und um STATISTIK – gar nicht mein Thema – aber nun…

In einer Studie mit 345 Menschen (nicht repräsentativ, dafür braucht es mehr Menschen) stellt sich heraus, dass die Erfolge in der Abstinenz im Katamnesezeitraum* bei 10%iger digitaler Begleitung am besten waren. Bei höherem Anteil gingen die Erfolge wieder runter. D.h. der Klient braucht die persönliche Betreuung. Digitale Nachsorge ist keine Kassenleistung! Da kommt m.E. OAMN ins Spiel und da gäbe es über 3.000 Menschen, die befragt werden können für eine aussagekräftige Studie, aber das wird ja unsere Nathalie nachholen, da bin ich mir sicher, macht sie doch gerade ihren Doktor, wenn ich richtig informiert bin. (toitoitoi)

* Als Katamnese bezeichnet man eine Beschreibung des Krankheits- und Therapieverlaufs nach der Behandlung eines Patienten, z.B. nach einer Krankenhausentlassung. Sie umfasst auch die Dokumentation der Nachhaltigkeit des Behandlungserfolges.

Abhängigkeit oder Substanzkonsumstörung? Was lernen wir aus DSM5 und ICD11 – Vortrag von Hans-Jügen Rumpf

Es geht ums Erreichen – Verkürzen – Vermeiden

Wir sprechen im ICD11 von einer Substanzgebrauchsstörung mit 11 unterschiedlichen Merkmalen

1-11 (noch ergänzen und vergleichen mit IDC10):

Im ICD 10 gab es den Umschalter von Mißbrauch zu Abhängigkeit.

Definition: ICD-10.pdf (suchtselbsthilfe-wettenberg.de)

Jetzt gibt es eine dimensionale Ansicht – einen Schieberegler:

2-3 – leichte Substanzkonsumstörung

4-5 – moderate Substanzkonsumstörung

6 und mehr – schwere Substanzkonsumstörung

„Störung“ ist destigmatisierend, eine Störung kann beseitigt werden

Es gibt also nicht mehr den Begriff Alkoholiker, sondern Mensch mit Substanzkonsumstörung

Es wird Jahre brauchen, um die Begrifflichkeit zu etablieren.  

„Wie wir Dinge bezeichnen und klassifizieren, bestimmt unser Denken und Handeln“

Prof. Dr. phil. Hans-Jürgen Rumpf

Prof. Dr. phil. Hans-Jürgen Rumpf (uksh.de)

DG-Sucht – Vorstand

Am 10. November ist der Aktionstag Suchtberatung „Wir sind für alle da“

Aktionstag – www.aktionstag-suchtberatung

Ich wäre gerne bei allen, wirklich allen Foren gewesen – 13 waren es insgesamt. Ich hätte mich gerne mit allen ausgetauscht. Es wurde dann nur wenige: Einem ehemaligen Polizisten, der mit seiner Reise mit der Drogeneisenbahn in Schulen und mittelständischen Betrieben unterwegs ist. www.drogeneisenbahn.de. Er hat seine Geschichte erzählt und ich finde es beeindruckend mit wieviel Herzblut er dabei ist und zeigt, dass es darum geht Inhalte rüberzubringen und nicht sie in der hippen Hochglanzpräsentation zu zeigen. Eine Personalerin, Suchtbeauftrage der Stadt Kiel, für die alles ebenso neu war, wie für mich. Eine Personalerin, Suchtbeauftragte des (Funfact) Rechenzentrums der Sparkassen – ich bin von der anderen Fraktion, ich gehöre zum Finanzverbund der Genossenschaftsbanken. Und einige andere aus der kommunalen Verwaltung. Für mich eine fremde Welt. Es gab gute Gespräche mit den Ausstellern (Selbsthilfegruppen, Kliniken etc.), die ihre Stände aufgebaut hatten, u.a. mit Thomas Lingenberg, Landesvorsitzender Guttempler NRW, der einen Leitfaden für die betriebliche Suchthilfe entwickelt hat.

Hier fehlt noch der Bericht über den Filmabend „Der Rausch“.

Ich bin nun froh erst mal alles notiert zu haben, die weitere Ausarbeitung folgt – der Artikel wird weiter aktualisiert werden. Und wer bis hierhin durchgehalten hat, der hat sich wie ich tausend Fleißsternchen verdient.